Interview mit Hannelore Ruppert

Drei Monate nach dem Einzug der Geflohenen in die Unterkunft auf der Berrenrather Straße und etwas über ein Jahr, nachdem die Willkommensinitiative in Sülz und Klettenberg ins Leben gerufen worden ist, fragt das Interview eine der Gründerinnen nach dem Stand der Dinge. Hannelore Ruppert, Physiotherapeutin im Ruhestand, gehört zu den Gründerinnen von hallo in sülz. Sie ist Teil des Orgateams, das bei hallo in sülz den Überblick über die verschiedenen Aktivitäten der einzelnen Gruppen behält, Koordinationsaufgaben übernimmt und die Spenden verwaltet.

Vorab eine Frage, Frau Ruppert: heißt es nun eigentlich „Flüchtlinge“ oder „Flüchtende“?

Ruppert: „Neubürger“?

Es sind nun auch welche in Sülz angekommen. Ich will helfen, aber eigentlich weiß ich nicht wie. Da bin ich wohl nicht alleine mit der Frage.

Ruppert: Das ist in der Tat nicht immer so einfach, die Bedürfnisse der Menschen, die da zu uns kommen, mit den Hilfsangeboten abzustimmen.

Ein Sülz-Klettenberg-Problem.

Ruppert: Der Stadtteil ist ausgesprochen offen, hilfsbereit. Ein Dreiviertel Jahr nach Gründung unserer Initiative haben wir nun 72 geflohene Frauen mit neun Kindern, um die wir uns kümmern. Und 500 Leute, die sich dafür interessieren, denen zu helfen.

Haben Sie mit so vielen Leuten gerechnet?

Ruppert: Nee. Wirklich nicht. (lacht).

Wie hat das angefangen?

Ruppert: Es gab zwei Diskussionsveranstaltungen zum Thema Flüchtende, im Herbst 2014 und im Januar 2015, und dann haben wir uns gedacht, wir möchten die Leute, die helfen wollen, auch zusammenzubringen. Alleine macht man ja oft so einen Schritt nicht. Es waren sofort 20, 30 Leute, die Interesse hatten. Wir haben dann bei anderen Initiativen geschaut, wie die es machen. Und dann waren wir plötzlich 40, 60, 80…

… und dann?…

…dann waren wir plötzlich 120, 180 – und es wurden immer mehr…

Dann fängt man schon mal an, nachzudenken…

Ruppert: Es hat uns herausgefordert, vom Organisatorischen her, ehrlicherweise auch zwischendurch überfordert. Normalerweise melden sich bei solchen Anfragen ja nur wenige. Wir mussten uns also erst einmal eine Struktur geben. Und dann hatten wir ja lange Zeit das Problem, dass die Stadtverwaltung zwar gesagt hat, da kommen Flüchtende nach Sülz/Klettenberg, aber dann keine gute Aufklärungsarbeit im Stadtteil betrieben hat. Wir wussten also nicht: was für Leute kommen da, wie viele, wann.

Probleme mit dem Rathaus sind in Köln nicht neu.

Ruppert: Da sind sicherlich auch viele Leute zu unseren Veranstaltungen gekommen, um überhaupt mal zu erfahren, was ansteht. Wir haben dann angefangen, selber Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, mit Homepage und Newsletter.
Gab es Frust bei einigen Leuten, weil sie helfen wollten, aber es halt da noch nichts zu helfen gab vor Ort? Oder weil es schon genug Helfer gab?

Ruppert: Ich glaube schon, dass es Frustrationen gegeben hat, auch wenn das nicht so direkt bei uns angekommen ist. Es gab aber Signale von Menschen, die sagten: wir wollen doch etwas machen, warum vertröstet ihr uns? Aber wir hatten ja im vergangenen Jahr keine Flüchtlinge. Sie waren zwar immer angekündigt, aber kamen nicht. Ich weiß nicht, ob die Stadtverwaltung sich so wenig geäußert hat, weil sie die Flüchtenden schützen wollte, aber unterm Strich war das keine gute Informationspolitik für unseren Stadtteil.

Das Rathaus tut sich etwas schwer mit den ehrenamtlichen Helfern…

Ruppert: Na ja, die Stadt war wohl auch etwas überfordert mit der Zahl der zugewiesenen Flüchtenden. Und die Verwaltungsstrukturen sind nicht sehr kreativ und flexibel. Die arbeiten schon, die machen ihren Job, leider ist das aber oft Dienst nach Vorschrift.

Und dann ist es ein Problem von Sülz/Klettenberg, dass es – gemessen an der Zahl der hilfsbereiten Bürger – zu wenige Flüchtende gibt.

Ruppert: Deswegen weisen wir ja nun auch bei allen Anfragen auf die Initiativen in Köln hin, die noch dringend Leute brauchen. Und da gibt es starken Bedarf. Bei uns sind es 72 Flüchtende, aber in einigen Stadtteilen sind es 300, 600, auch tausend. Es wäre schön, wenn wir über den Tellerrand gucken, das tun auch viele.

Es ist nicht leicht, einen Überblick zu bekommen, wo denn was und wer gebraucht wird.

Ruppert: Es gibt verschiedene Portale im Internet, zum Beispiel wiku-koeln.de. Da wird schon einiges vernetzt, aber es braucht Zeit, bis das alles ineinander greift.

Mancher könnte jetzt auf die Idee kommen zu sagen, na, wenn ihr in Sülz auf jeden Flüchtenden zehn Helfer habt, dann muss es denen doch gutgehen.

Ruppert: So ist es aber nicht. Die Frauen, die bei uns in Containern untergebracht sind, kannten sich vorher untereinander nicht. Sie leben auf sehr beengtem Raum. Vier Betten auf 13 Quadratmetern. Eine kleine Küche für acht Personen. Wir müssen erst einmal schauen, was deren Bedürfnisse eigentlich sind.

Langeweile, kaum Freizeitangebote?

Ruppert: Langeweile gewiss nicht. Was Freizeitangebote betrifft, so stehen die für die Frauen erst einmal nicht im Vordergrund. Natürlich müssen die auch schauen, was mit den Kindern wird, die müssen ja auch irgendwie spielen können. Ansonsten sind die Bedürfnisse der Frauen sehr unterschiedlich. Es gibt medizinische Probleme, Probleme mit den Behörden. Die Menschen dort haben alle Sorgen. Was ist mit den Angehörigen, die sie zurücklassen mussten oder die woanders gestrandet sind. Was ist mit ihrem Aufenthalt, können sie hier bleiben…

…was wird mit den Kindern…

Ruppert: Ja, gerade das auch. Es gibt in der Sülzer Containerunterkunft Säuglinge, es gibt Schulkinder, aber die sind noch nicht eingeschult… Das kann noch ein halbes Jahr dauern, bis sie eingeschult werden. Da bemühen sich nun einige, den Prozess zu beschleunigen, dass die Kinder eher in die Schule kommen, da vernetzt sich etwas im Stadtteil. Einige Helfer besprechen das mit Grundschulen, und man hat das Gefühl, da tut sich etwas…

…unterhalb der offiziellen Verwaltungs-Ebene…

Ruppert: Auf der menschlichen Ebene. Und daneben brauchen die Frauen persönliche Begleitung, etwa bei Behördengängen oder beim Einkaufen, die müssen ja erst einmal einen Überblick bekommen, erst einmal ankommen…

Eher etwas für Helferinnen, weniger für Männer…

Ruppert: In diesem direkten Kontakt, ja.

Also Männer haben es im Moment nicht leicht bei hallo in sülz.

Ruppert: Moment, es gibt zum Beispiel jetzt eine Gartengruppe, die den Bereich rund um die Unterkünfte verschönern möchte, da sind Männer gerne gesehen (zwinkert). Und bei den Stadtspaziergängen auch, das sollen ja keine reinen Frauenveranstaltungen sein.

Sollen sich eigentlich noch Leute melden? Oder reicht es?

Ruppert: Schwere Frage… (überlegt). Ich glaube, ein Teil des Problems ist es, dranzubleiben und weiterzugehen. Für das Weitermachen wird es weitere Menschen brauchen. Vielleicht jetzt nicht aktuell, aber es wird wohl auch Ermüdungserscheinungen geben bei denen, die sich engagieren. Und da wird es gut sein, wenn andere mit einsteigen und ergänzen. Und zudem wird es mit zunehmender Arbeit klar, wer oder was noch fehlt.

Können sich auch Nicht-Kirchliche melden?

Ruppert: hallo in sülz ist zwar angelehnt an die Kirche, aber bewusst nicht gebunden an die Kirche oder gar konfessionell. Mein persönlicher Hintergrund ist ein religiöser, aber auch ein humanistischer.

Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan…

Ruppert: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, d.h. ich muss ihn nicht mehr lieben als mich, aber sollte ihn schon im Auge haben. Und das Zweite: der Fremde, der in deinen Toren ist, nimm ihn freundlich auf. Das Fremde macht mir keine Angst.

Gibt es Anfeindungen? „Besorgte Bürger“ in Sülz/Klettenberg?

Ruppert: Nein, nicht wirklich. Aber es gab Fragen wie: Warum kümmert ihr euch nicht ebenso um die Obdachlosen? Und ich halte solche Fragen für berechtigt.

Eine Konkurrenz von Flüchtenden und Obdachlosen?

Nein, das nicht. Vielleicht sogar im Gegenteil. Vielleicht führt uns das eine zum anderen.

Ich bin da jetzt etwas ratlos, wie…

Ruppert: Vielleicht führt die Bereitschaft zur Hilfe für Flüchtlinge ja zu einem breiteren Engagement. Also sich nicht nur auf die staatliche Bürokratie verlassen, sondern selbst etwas tun. Es gibt so viele Leute, die sich jetzt gerne ehrenamtlich engagieren möchten. Das ist eine bürgerliche Kraft. Das sind Leute, die eben nicht unsere Gesellschaft den lautstarken Grenzziehern überlassen möchten. Und die Politik sollte diese positive Kraft, dieses gesellschaftliche Engagement stärken.

Ist das nicht ein wenig zu große Politik für Sülz?

Ruppert: Bleiben wir vor Ort – was Sülz/Klettenberg betrifft: Wenn 500 Menschen da anfangen, neu miteinander kommunizieren, sich miteinander vernetzen, da lernt man auch seinen Stadtteil neu kennen. Ich glaube, der Stadtteil hat jetzt schon profitiert davon. Da wird etwas wachsen. Und ich glaube auch daran, dass dieses Engagement der Leute über die Flüchtlingshilfe hinausgehen wird.